roma a mano armata (umberto lenzi, italien 1976)

Veröffentlicht: März 4, 2014 in Film
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Kommissar Tanzi (Maurizio Merli) hat die Pappe auf: Wann immer er einen Gauner in der Hoffnung verhaftet, von ihm Informationen über den Verbleib des Berufsverbrechers Farenda zu bekommen, machen ihm entweder skrupellose Winkeladvokaten oder die eigenen weichgespülten Vorgesetzten mit ihren lästigen Mahnungen zum Einhalt der Gesetze einen Strich durch die gesalzene Rechnung. Es ist wirklich zum Aus-der-solariumgebräunten-Haut-Fahren: Wie soll man des Verbrechens nur Herr werden, wenn man ständig gezwungen ist, Regeln zu beachten, die die ehrlosen Untermenschen mit Lust übertreten? Und dann muss sich Tanzi auch noch das Geschwätz seiner liberalen Freundin anhören, die bei jugendlichen Straffälligen Gnade vor Recht gelten lässt, anstatt ihnen mit harter Hand Vernunft beizubiegen oder ihnen das harte Brot des Gesetzes zum Kosten zu geben. Kein Wunder, dass Rom im Chaos zu versinken droht, wenn die, die eigentlich für die Bestrafung des Gesindels zuständig sind, mitleidig von ungünstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen salbadern und die Täter zu Opfern stilisieren, denen eine faire Chance versagt bleibt. Trotzdem ist Tanzi reichlich angepisst, als sich die römische Verbrecherbrut an seiner Perle vergreift, weil er dem buckligen Moretto (Tomas Milian) zu dicht auf die Pelle gerückt ist. Er hat der Dame zwar eigentlich nicht mehr so viel zu sagen und vor lauter Kasatschok auf der Straße eigentlich auch gar keine Zeit für eine Liebesbeziehung, aber so ein echter Südeuropäer lässt natürlich trotzdem nur äußerst ungern andere an seinem Besitz rumschrauben. Demnach gibt es für ihn ab jetzt endgültig kein Halten mehr, bekommt das Gesocks seinen Zorn zu spüren, rauscht er wie ein Derwisch durch die ewige Stadt um an jeder Ecke einen Kriminellen seiner Bestimmung zuzuführen …

Nach den beiden zuletzt wiedergesehenen Lenzi-Granaten MILANO ODIA: POLIZIA NON PUÓ SPARARE (einen ausführlichen Text gibt es in Bälde an anderer Stelle, ich gebe euch Bescheid) und LA BANDA DEL GOBBO, zwei superharten, superbrutalen und supertrostlosen Gangsterfilmen, nun also ROMA A MANO ARMATA oder DIE VIPER, wie er in Deutschland heißt. Für mich gehören die drei Filme untrennbar zusammen: Alle drei erschienen sie einst in diesen pinkfarbenen VPS-Videohüllen, alle drei sind sie von Lenzi und durch Tomas Milian miteinander verbunden, alle drei habe ich wie ein Geschenk des Himmels an einem Tag im Dreierpack für einen lächerlichen Betrag aus einer Krefelder Videothek geborgen. ROMA A MANO ARMATA mochte ich immer am wenigsten von den dreien, was angesichts der Klasse seiner beiden „Brüder“ beileibe keine Schande ist und keinesfalls daran liegt, dass er schlecht wäre. Aber er ist ganz anders, mit gänzlich anders gelagerten Qualitäten. Während MILANO ODIA und LA BANDA DEL GOBBO um eine zentrale Schurkenfigur kreisen, die der Zuschauer mit all ihren Verfehlungen kennenlernt, sie auf einem geradlinig auf ihren Tod zulaufenden Weg begleitet, ist ROMA A MANO ARMATA deutlich loser um seinen zentralen Cop strukturiert. Zwar gibt es einen roten Faden, der sich durch den Film zieht, doch wird der zwischendurch auch einfach mal fallengelassen, um ihn dann erst später wieder aufzunehmen. So lässt Lenzis Film den Zug vermissen, der die anderen beiden auszeichnet, den Betrachter an sie fesselt, zerfasert er vor allem in den zweiten Hälfte und verliert sich etwas in seinen zahlreichen Episoden. Aber in dieser Häufung von grellen Tanzi-Abenteuern entfaltet er fraglos einen sehr eigenen Charme, verwandelt sich vom reaktionären Poliziesco fast schon in die Parodie reaktionärer Polizieschi. Das ideologische Fundament, auf dem diese aufbauen, wird in ROMA A MANO ARMATA komplett der Lächerlichkeit preisgegeben, ohne jedoch an affektiver Wucht einzubüßen. Er ist der seltene Glücksfall eines reflexiven Films, der sich nicht an seiner eigenen Cleverness berauscht, sondern die Unschuld der „Originale“ bewahrt.

So wie MILANO ODIA und LA BANDA DEL GOBBO auf Tomas Milian zugeschnitten sind, so ist ROMA A MANO ARMATA nicht ohne Maurizio Merli denkbar, wenngleich der in diesem Film ganz anders eingesetzt wird. Merli ist ja der italienische Prototyp des „am Rande der Legalität“ kämpfenden Cops, des an der Liberalität der Gesellschaft verzweifelnden Hardliners, des heißgelaufenen Gesetzeshüters, der zum wild herumballernden Fanatiker mutiert. Aber er verkörpert diesen Typus ohne das geringste Zeichen von Ironie, vollkommen ernst und anscheinend in dem unbeirrbaren Glauben, der strahlende Held und Vorkämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit zu sein. Wie Lenzi ihn einsetzt, das erinnert an Verhoevens Manipulation der Darstellerriege von STARSHIP TROOPERS, die der Niederländer ja auch in dem Glauben ließ, in einem Heldenepos mitzuwirken. Während etwa Steno in LA POLIZIA RINGRAZIA die Frustration seines Protagonisten nachvollziehbar macht, sie faktisch unterfüttert, da ist Merlis Kommissar Tanzi schon in der ersten Szene des Films auf 180. Und das Rom, das Lenzi um diesen Tanzi herum errichtet, scheint sich einen richtigen Spaß daraus zu machen, den beschnauzbarteten Choleriker noch anzustacheln. Bei der Regelmäßigkeit, mit der der stets am Rande eines Herzinfarktes entlangtänzelnde Bulle in zwielichtige Gestalten läuft, Zeuge irgendwelcher Delikte wird und so auf dem Weg von A nach B ganze Gefängnistrakte mit spontan verhafteten Ganoven füllt (wenn er sie nicht gleich umnietet), fällt es schwer, noch an Zufall zu glauben. Zumindest wird verständlich, warum es um Tanzis Nerven so schlecht bestellt ist: Das Pensum, das der an einem Tag abreißt, verteilen andere Polizisten auf ein ganzes Jahr. Ich schätze, auf seiner Wache hat er einen Psychologen, der sich nur um ihn kümmert. Wobei das natürlich Quatsch ist, weil ein Tanzi solchen neumodischen Tuntenkram wie einen Psychologen gar nicht nötig hat. Der zieht einfach los und schießt einem dahergelaufenen Halunken einen Loch in den Pelz, um wieder klarzukommen.

Wie gesagt: Es scheint mir unmöglich, dass das alles ernst gemeint sein soll, zu absurd ist das ganze Szenario eines Roms, bei dem keine Verkehrsinsel sicher ist. Wenn es in den Siebzigern wirklich annähernd so schlimm war, muss man umso mehr Mitleid mit den Verbrechern haben, die sich ja schließlich gegenseitig die Existenzgrundlage streitig machten. Und dann kam auch noch Förster Tanzi daher und sorgte mit seiner Kanone dafür, dass das biologische Geleichgewicht gewahrt blieb. Hard Times.

 

 

Kommentare
  1. Ghijath Naddaf sagt:

    Sehr gute Analyse. Ich mochte ja den ähnlich gemachten Napoli Violenta immer ein bisschen mehr
    als Roma a mano armata. Aber letzterer wird natürlich von Thomas Milian veredelt.
    Ich mag die jeden Rahmen sprengende Energie dieser Filme.
    Langeweile kommt da jedenfalls keine auf.

  2. monezza sagt:

    Hammerreview, Herr Kollege. Hab herzlich gelacht über die auf den Punkt getroffene Beschreibung des originären „Merli’schen Bullencharakters“. Der Film spielt in punkto unkontrollierter Energie und Satirepotential in einer Liga mit Deodatos „Uomini si nasce….“.

    • Oliver sagt:

      Vielen Dank! Zu den heißen Typen von Deodato findest du hier übrigens auch einen Text. 🙂

      • monezza sagt:

        Danke. Aber du darfst versichert sein, dass mir keine deiner italophilen Filmbesprechungen unbekannt ist. Den nick trag ich nicht umsonst und – wie man so sagt – I like your style. 🙂

      • Oliver sagt:

        Dann ist ja gut. 🙂

  3. […] Ein toller italienischer Genrefilm ist auch „Die Viper“ mit der Traumpaarung Maurizio Merli und Tomas Milian, den Oliver Nöding auf Remember It For […]

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